Beinahe 500.000 Dieselwagen umgingen die festgesetzten Abgasnormen Amerikas durch einen üblen Trick. Die Folgen dieser Betrügerei könnten vernichtend für den deutschen Autohersteller sein.
Die Environmental Protection Agency (EPA) in den USA deckte den wohl größten Skandal der Automobilindustrie auf, indem Sie bekannt gab, dass Volkswagen bei den Abgastesten durch eine Software betrogen hat. Auf dem Spiel steht der gute Ruf der Firma. Es könnten Strafgelder folgen (geschätzte 18 Milliarden Dollar), Aktienwertverluste (bereits minus 20%, ca 16.9 Milliarden Marktwert), ein ausgedehntes Strafverfahren und wahrscheinlich ein Gesichtsverlust in der kompletten Industrie. Dieser gigantische Faux-Pas wird die Autolandschaft der USA wohlmöglich komplett verändern und Dieselfahrzeuge für eine lange Zeit vom Markt verschwinden lassen.
TDI – Turbocharged Dirty Injection
All dies, nur um die Emissionsgrenzen zu überlisten? Anscheinend. Denn die installierte Umgehungs-Software, die in der Testphase der EPA aktiv wird, ist so ausgerichtet, dass sie das Full Emissions Control-System nur während eben dieser Phase nutzt, was zu gefälschten Werten führt. Für einen Automobilhersteller, der sich mit seiner Hingabe zum Umweltschutz rühmt und seine Dieselwagen als sauber anpreist, dürfte dies die größte Falschheit überhaupt sein. Und hochgradig illegal.
Bis zu 10-40 mal mehr Stickstoffoxid als erlaubt, werden angeblich in die Atmosphäre befördert. Bekannt unter dem Namen Dieselgate ist dieser Skandal jetzt in aller Munde. Denn nicht nur soll Volkswagen wissentlich die Software installiert und somit gegen das Gesetz verstoßen haben, sondern eben auch Käufer und die Umwelt damit betrogen haben. Und das über Jahre hinweg.
Die erste Anschuldigung der EPA und eines NGOs namens International Council on Clean Transportation kamen bereits vor einem Jahr, als von verschiedenen Forschungsteams Diskrepanzen in den Lesungen entdeckt wurden. Volkswagen versuchte sich noch herauszureden, indem sie auf technische Ursachen plädierten, die die Unterschiede bei den Emissionslesungen im Test und unter echten Konditionen begründen sollten. Mit ein wenig mehr Druck seitens der EPA, die damit drohte die Zulassung aller Wagen für 2016 zu entziehen, kam Volkswagens schwarze Weste zum Vorschein. Das Geständnis macht die Situation nicht weniger fatal für den Konzern.
Wieso die Lüge?
Seitdem in den Staaten 2008 die Emissionsrichtlinien verschärft wurden, begannen die meisten Autohersteller ihre Dieselwagen mit einem Tank „Ad-Blue“ auzustatten. Diese auf Urea basierende Mischung verringert die Stickstoffoxidwerte. Nicht so aber VW und Audi. Diese behaupteten, dass der 2.0-Liter Vier-Zylinder-Motor an deren kleineren Wagen durchaus in der Lage wäre, den neuen umweltschonenden Anforderungen gerecht zu werden. Neuere TDI-Modelle, wie der 2015 Golf MK7, verfügen jedoch über die „Ad-Blue“-Injektion.
Anzunehmen ist, dass Volkswagen den Einbau der Ad-Blue Systeme und der emissionsregulierenden Hardware umging, da diese sehr teuer sind, um so den Produktionspreis und somit auch den Verkaufspreis zu senken. Auch ist anzunehmen, dass die Reichweite und der Verbrauch der TDI-Modelle unter den neuen Anforderungen gelitten hätten. Um aber die Dieselwagen weiterhin als Wettbewerber af dem Markt zu behalten und gleichzeitig den Schadstoffemissionsbedingungen gerecht zu werden, wurde eine Software installiert, die korrekte Werte ausspuckte.
Volkswagen buckelt und agiert
Bei der Enthüllung des neuen 2016er Passat Modelles gestern gab der Leiter der amerikanischen Volkswagen Gruppe Michael Horn offiziell bekannt: “Unsere Firma war unehrlich; wir haben es vermasselt.“ Man verspricht den Schaden wieder gerade zu rücken und dafür aufzukommen. Es soll gezahlt werden, was gezahlt werden muss und die Fahrzeuge repariert werden. Alle US Verkäufe der Dieselmodelle sind erstmals auf Eis gelegt und die Vertreiber kontaktiert, um einen kompletten Verkaufsstopp zu garantieren.
Da kanadische Schadstoffgrenzen ebenfalls nahe der amerikanischen liegen, wurde auch in Kanada dem Verkauf Einhalt geboten. Auch wurden alle Werbekampagnen und Videos vom amerikanischen Youtube-Kanal gelöscht oder auf „Privat“ gesetzt. Unklar ist, ob dieser Schritt Vergessenheit einläutet oder die Aufmerksamkeit noch mehr auf den Konzern lenkt. Zum Reinwaschen wird es nicht reichen.
In Deutschland sprach VW-Vorsitzender Martin Winterkorn eine Entschuldigung aus. Zudem verpreche man, sich den Vorwürfen und den Untersuchungsverfahren gegenüber kooperativ zu zeigen. Auch sollen die Wagen auf die Umgehungs-Software getestet werden. Auch sollen laut EPA beinahe 500.000 Autos zurückgerufen werden. Betroffen wären Volkswagenmodelle mit dem 2.0-Liter Turbodiesel Vier-Zylinder-Motor, die zwischen 2008-2015 entstanden sind. Sieben Jahre haben die „sauberen TDIs“ also fröhlich vor sich hin geräuchert und ein falsches Versprechen am Leben erhalten. Der Beetle, Audi A3, Passat, Gold und Jetta zählen angeblich zu den Schmutzfinken. VW kostet es nun auch die Verkaufslizenz für die 2016 Dieselmodelle.
Zukunftsaussichten für Volkswagen
Kurz gesagt: Es sieht düster aus. Katastrophal, um genau zu sein.
Volkswagen investierte in den letzten Jahren Millionen in Werbekampagnen, um den Diesel als sauberes Auto zu verkaufen und das angeschlagene Image der Dieselmotoren zu polieren. Ebenso Audi. Zeit und Geld flossen in das Unterfangen TDI-Motoren als kraftvoll, reichweitenkompetent und sauber darzustellen. In den USA machen Dieselwagen außerdem bislang bis zu 25 Prozent der Verkäufe aus. Das Vertrauen der Kunden ist auf ewig gestört. Wer kauft schon gern eine Lüge und beteiligt sich an der Schädigung der Umwelt, wenn man sich doch eigentlich für einen „sauberen Wagen“ entschieden hat.
Außerdem werden allen Anschuldigungen genaueren Untersuchungen unterzogen. Nicht nur das Justizministerium wird ein Huhn mit VW zu rupfen haben. Dem Strafverfahren werden Kongressanhörungen und wahrscheinlich auch Anschuldigungen des Ministeriums für Gesundheitspflege und Soziale Dienste, wie auch des Handelsministeriums folgen, da VW absichtlich Gesundheitsrisiken hat durchgehen lassen.
In Deutschland beschuldigte Staatssekretär für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Jochen Flasbarth Volkswagen eines unverfrorenen Kundenbetrugs. Aber auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel befürchtet, dass der Ruf der gesamten deutschen (überlebenswichtigen) Automobilindustrie hiermit geschädigt sein könnte.
Zukunftsaussichten für andere Automobilhersteller
Für andere Autohersteller dürfte der Skandal jedoch positive Folgen haben. All jene, die die letzten Jahre dazu genutzt haben in Hybridtechnologien und Elektroautos zu investieren, dürften jetzt einen Aufschwung erwarten. Ein gesamtes Käufersegment wird wohl dem Diesel abschwören und sich nach anderen Kleinwagenmodellen umsehen, die tatsächlich den Anforderungen gerecht werden. Da in Europa bereits der Trend gegen Dieselmotoren zunimmt, wird es wohl nicht lange dauern, bis Dieselwagenin den USA ganz weg vom Fenster sind, da schon seit Jahren für einen Ausschluss vom Verkehr plädiert wird. VW liefert den Diesel-Gegnern somit das perfekte Kanonenfutter.
Auch Südkorea will nun VW Jetta und Golf Modelle, wie auch den Audi A3, die zwischen 2014 und 2015 produziert wurden, testen lassen. Sollte das Ergebnis negativ für VW ausfallen, sollen alle deutschen Dieselimporte auf Herz und Nieren geprüft werden. Für Hyundai, den landeseigenen Produzenten, könnte dies positive Auswirkungen haben, da die oben genannten Wagen samt Dieselantrieb in den letzten Jahren an Marktanteilen gewonnen haben.
Aber auch andere Konzerne werden unter dem Skandal zu leiden haben. Die sinkenden Aktienanteille von Renault, Peugeot, Nissan und BMW zeigen dies deutlich auf. Auch sie werden unter verschärften Tests zu leiden haben und nun ins Visier genommen werden. Ob und wer noch Dreck am Stecken hat, wird in den nächsten Monaten eine große Rolle spielen.
Wer ist Schuld?
Es kommt selten vor, dass sich ein Konzern als schuldig bekundet, kriminell vorgegangen zu sein. Die Frage ist, wer im Falle des Strafverfahrens als Sündenbock auflaufen wird. Theoretisch kann es den Einzelnen treffen, oder auf allgemein technisches Probleme, wie auch firmeninterne Inkompetenz plädiert werden. Es bleibt abzuwarten, wie sich VW den Anschuldigungen stellen wird. Das kollektive Schuldbekenntnis zeigt zumindest soetwas wie den Willen seitens VW den Schaden wieder gut machen zu wollen. Es könnte der letzte Rettungsanker sein, den man auszuwerfen versucht, bevor das Schiff komplett sinkt. Aber ganz anders als im Fall eines echten Schiffsunglückes, werden die Kapitäne wohl zuerst das Deck räumen müssen.
Text: Anna Lazarescu
Bilder: fotolia.de