Bei einer Evolution verändert sich ein System langsam und kontinuierlich. Bei plötzlichen grundlegenden Umwälzungen wie zum Beispiel der Erfindung des Verbrennungsmotors sprechen wir von einer Revolution. In diesem Sinne leben wir in revolutionären Zeiten, denn die Mobilität verändert sich durch das Elektroauto nicht nur technologisch. Die Menschen – vor allem in den Großstädten – beginnen auch, in anderen Wertesystemen zu denken. Der Erhalt unseres Planeten, die Sicherung der Klimaziele und einfacher, praktischer Nutzen werden in der Mobilität bei vielen Menschen wichtiger als klassische „automobile“ Werte. In Zeiten des Wirtschaftswunders war das eigene Auto ein Statussymbol, fast so wie ein Familienmitglied. Das schwer verdiente Schmuckstück an Fremde zu verleihen, war fast undenkbar.
Der Durchbruch des Carsharings, also der geteilten Nutzung eines Autos durch mehrere Nutzer mittels stundenweiser Anmietung, zeigt die kulturellen Folgen der technologischen Revolution. Das Auto ist für den modernen Großstadtmenschen ein pragmatisch nutzbares Mobilitätsmittel geworden. Es ist nicht mehr die Frage nach dem Auto, die über Status und Wohlbefinden entscheidet. Auch die wechselnde Nutzung verschiedener Autos macht beim Carsharing vielen Menschen großen Spaß. Seit 1988 in Berlin die erste Carsharing-Organisation gegründet wurde, hat das Modell seinen Siegeszug durch Deutschland und Europa angetreten. Heute sind fast zwei Millionen Deutsche bei entsprechenden Anbietern registriert. Klar, Menschen bleiben verschieden. Auch heute noch gibt es den leidenschaftlichen Autoliebhaber, der seinen Wagen niemals verleihen würde. Das ist auch in Ordnung so. Eine der Stärken der kulturellen Revolution, die wir da erleben, ist, dass jeder leben darf, wie er möchte. Aber was sich ändert, ist der Durchschnitt und so bilden sich neue, fortschrittlich denkende Mehrheiten.
Privates Carsharing als Ausdruck kulturellen Wandels
Privates Carsharing ist ein zukunftsträchtiger Spezialfall der tief greifenden Veränderungen, die wir heute erleben. Hier leihen einfach Freunde und Nachbarn ihre Autos untereinander aus. Es fehlt die koordinierende Carsharing-Firma. Versicherungen bieten heute spezielle Versicherungen für privates Carsharing an, da die normale private Autoversicherung die Risiken beim entgeltlichen Verleih des Autos an Dritte nicht abdecken. Zwar ist privates Carsharing nicht so verbreitet wie das kommerzielle Carsharing, das durch Firmen angeboten wird, dennoch ist es ein Ausdruck unserer sich verändernden Kultur, wie die Menschen über privates Carsharing denken. Diese Art, ein Konsumgut wie das Auto gemeinschaftlich zu konsumieren, stellt einen der großen Megatrends des 21. Jahrhunderts dar.
Hat privates Carsharing eine große Zukunft vor sich?
Aktuelle Umfragedaten etwa beweisen, dass es tatsächlich auch hier eine revolutionäre Entwicklung gibt. Wenn du denkst, im Autoland Deutschland mit der hier besonders hohen wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung des privaten Kfz gebe es keine Chance für privates Carsharing, täuscht du dich gewaltig. Laut Emnid-Umfrage sind 15 Prozent der Befragten sofort bereit, ihr privates Auto entgeltlich zu vermieten. Weitere 22 Prozent antworten mit „vielleicht“ -vermutlich, weil sie sich der Bedingungen nicht gewiss sind. Nur etwa 45 Prozent der Befragten lehnen privates Carsharing generell ab. Erwartungsgemäß gibt es die meiste Zustimmung bei den nach 1990 geborenen Mitgliedern der Generation Y, die generell gegenüber Veränderungen am stärksten aufgeschlossen sind. Hier sagt ein Viertel der Befragten sofort „ja“. Ein bisschen konservativer sind im Durchschnitt Frauen und die Bewohner der neuen Bundesländer.
Warum sind so viele Menschen bereit für privates Carsharing? Im Zentrum steht bei den meisten Befragten der Wunsch, Kosten zu senken und ein bisschen dazu zu verdienen. Immerhin ein Viertel der Befragten benennen auch umweltpolitische Gründe. Das zeigt, wie stark die gesellschaftlichen Veränderungen erfreulicherweise auch unsere Köpfe erreicht haben. Solche Umfrageergebnisse wären noch vor 30 Jahren undenkbar gewesen.
Die stärksten Hemmschwellen gegenüber dem privaten Carsharing sind Sorgen der Nutzer hinsichtlich des Versicherungsmodells oder eventuell anfallender Reparaturkosten. Hier besteht großes Potenzial für intelligent gemachte Versicherungsangebote. Tatsächlich gibt es heute schon Plattformen, die auch in Zusammenarbeit mit Versicherungen Lösungen für diese Probleme anbieten. Europas größte private Carsharing-Community Drivy bietet bereits in vielen großen Städten entsprechende Angebote. Ob privates Carsharing den ganz großen Durchbruch erlebt, bleibt abzuwarten. Ein Test der Stiftung Warentest hat bei allen Plattformen doch eine Reihe von Problemen identifiziert. Oft dauert es lange, bis für einen bestimmten Termin im Umfeld überhaupt ein Auto gefunden werden kann. Nicht immer kannst du dich darauf verlassen, dass im Mietvertrag sämtliche Mängel und Schäden des Mietobjektes angegeben sind. Die Preise waren oft nicht günstiger als bei kommerziellen Carsharing-Firmen. Die dienende und helfende Hand der Carsharing-Profis, denen die Autos bei Carsharing-Firmen gehören, fehlte doch hier und da sehr auffällig.
Zur Euphorie gibt es also keinen Anlass. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass privates Carsharing den ganz großen Durchbruch erlebt. Die Vorteile des kommerziellen Carsharings bei fehlenden großen Preisunterschieden sind recht hoch – besonders was die Größe des Angebots und die Absicherung der Nutzer angeht. Die Marktsättigung im kommerziellen Carsharing ist in Deutschland noch lange nicht erreicht, bald wird diese Revolution auch kleinere Städte und das flache Land erreichen. Wir werden sehen, ob privates Carsharing hier tatsächlich eine eigene Nische erobern kann.