Im Gegensatz zu den Weicheiern im restlichen Deutschland packt der Berliner lieber selbst an. Man könnte denken, alle Nicht-Berliner haben anorektische Arme und lassen deswegen lieber tragen, anstatt selbst zu schleppen. Aber diese vollkommen ungesicherte Behauptung könnte genauso gut auch Ausdruck eines massiven Hauptstadt-Patriotismus sein.
Grund für die Eigenregie beim Schleppen ist wohl, neben dem erhöhten Drogenkonsum, der sicherlich für zusätzliche Aktivität sorgt, auch das liebe Geld. Der Berliner ist sexy, aber arm – oder manchmal auch ein Start-up-Millionär, aber meistens zugezogen und fast immer ohne Möbel. Fakt ist: In Berlin wird jeden Tag mehr als 400-mal umgezogen. Am Wochenende nimmt deswegen die Dichte der Robben & Wientjes-Transporter enorm zu. Man glaubt, sie an wirklich jeder verdammten Ampel zu sehen. Die Karawanen von Robben & Wientjes könnten bald ordentlich Konkurrenz bekommen, denn Sixt rollt derzeit den LKW-Markt in Berlin ordentlich auf.
Was in anderen Städten Trend ist, gilt auch für Berlin: Die Innenstadt schrumpft, während der Speckgürtel wächst. Das liegt natürlich auch daran, dass das Gespenst der Gentrifizierung hier bereits ordentlich zugeschlagen hat. Mitte und Pberg sind fest in Schwabenhand. Erst beim Blick in die Hinterhöfe wird das ganze Ausmaß der Bionade-Biedermeier-Befriedung sichtbar. Dort erheben sich Townhouses so dicht gedrängt, dass man seinem Nachbarn schon wirklich sehr trauen muss, denn der braucht eigentlich nur eine Bierbank, um auf den eigenen Balkon zu gelangen. Aber da das ja eh der Studienfreund aus Bamberg ist, hat man da auch keine Sorge.
Nach Mitte sind Pankow und Tempelhof-Schöneberg die beliebtesten Zuzugskieze der Berliner. Kein Plan, ob da jetzt nach Schöneberg eine Welle aus Köln rüber schwappt…. Aber Pankow ist ja jetzt sowieso sowas wie Pberg, dank der Zusammenlegung der Bezirke, und wird auch sicher so an den unwissenden Zuzügler verkauft. Der wundert sich dann, warum er gar keine U-Bahn vor der Tür hat, obwohl alle immer behaupten, der Nahverkehr wäre total hipp und super infrastrukturiert in der Hauptstadt. Und wieso da ein Schild mit „Weißensee“ vor der Tür steht, ist den Leuten dann auch oft nicht ganz klar. De facto wurden die meisten Umzüge innerhalb eines Bezirks in Pankow registriert. Mit anderen Worten, alle alten Menschen dürften jetzt von freundlichen Vermietern nach Französisch Buchholz ausgelagert worden sein.
Ganz spannend: Die meisten Berliner mit Migrationshintergrund ziehen ebenfalls am häufigsten nach Mitte, die wenigsten von ihnen nach Treptow-Köpenick.
Wer sich jetzt wundert, wo die alle sind, hat keine Ahnung von der Ausdehnung des Bezirks Mitte. Der schließt nämlich auch Moabit, Tiergarten und den Wedding ein, und reicht bis weit die Koepenicker Straße runter. Außerdem vergisst er dabei halb Europa, also Spanier, Engländer, Franzosen, Italiener, die sogenannten Expats, mit denen auch die Hipster-Seuche nach Berlin kam, und die auch nicht gleich von den üblichen Touristen zu unterscheiden sind. Warum keiner nach Treptow will… keine Ahnung, ist echt schön da. Nur eben fast in Brandenburg. Die Berliner Mitte wiederum verkrümelt sich so langsam nach Reinickendorf, Steglitz und Koepenick. Ja, die Raver-Gemeinde ist alt geworden. Wo früher der illegale Keller-Club im Haus wichtig war, macht sich der graumelierte Berliner jetzt mehr Sorgen um vernünftige Spielplätze ohne Spritzbestecke, Tempo-30-Zonen und Fahrradwege.
Natürlich ist auch das Geld Auslöser des Umzugs. 2012 gab es in der Hauptstadt den stärksten Mietpreisanstieg seit 20 Jahren, deshalb ziehen die Menschen von Mitte nach Pankow. Von Tempelhof-Schöneberg bevorzugt nach Steglitz-Zehlendorf und die Lichtenberger zumeist nach Marzahn-Hellersdorf. Die Studenten, die in die Stadt kommen, ziehen nach Wedding oder Moabit und können behaupten, trotzdem in Mitte zu wohnen. Die Münchner ziehen nach Mitte (das echte Mitte), weil es immer noch billiger ist als in Münchens Mitte. Die meisten preiswerten Wohnungen findet man derzeit übrigens in Spandau und in Reinickendorf.